COVID – Impfstoffe in der Turbo – Zulassung

Seit Jahren werde ich von meinem Umfeld mit Fragen bestürmt zu Arzneimitteln – vor allem natürlich Impfstoffen – und auch zur Zulassung, jedoch ist es mir noch nie passiert, dass mich jemand gefragt hätte: „Wir haben morgen den MMR – Impftermin für unsere Tochter – erzähl mir mal, wie lange die an dem Impfstoff geforscht haben und wie lange das Zulassungsverfahren gedauert hat?“ oder „Ich werde morgen operiert und krieg eine Narkose mit Propofol – wie viele Probanden haben denn an den Studien dafür teilgenommen und wie lief das in der Zulassung?“

Aufgrund der massiven Medienpräsenz der aktuellen Pandemie und der COVID – Impfstoffe ist natürlich das öffentliche Interesse plötzlich riesig und die Menschen fragen (was sehr gut und berechtigt ist) und sie stellen auch ihre eigenen Vermutungen an (was meist zu äußerst schrägen und dubiosen Aussagen führt).

Dass bei den COVID – Impfstoffen ein unvergleichliches Tempo vorgelegt werden konnte, hat mehrere ganz unterschiedliche Ursachen und nichts davon hat mit „Schlampigkeit“ oder „Unzuverlässigkeit“ zu tun. Die Faktoren, die hier eine Rolle spielen sind:

  • die Forschung und Entwicklung
  • der finanzielle Background
  • die Durchführung der Studien
  • das Zulassungsverfahren

Forschung und Entwicklung

Eine häufig gehörte Aussage ist: „Man braucht doch sonst etliche Jahre, um einen neuen Impfstoff zu entwickeln! Das kann doch nicht gutgehen, wenn das diesmal so schnell ging!“

Wie so oft gilt auch hier: man kann niemals verallgemeinern. Impfstoffe stellen eine sehr heterogene Produktgruppe dar und wie, warum, wie lange und wann sie entwickelt oder zugelassen werden lässt sich überhaupt nicht auf eine gemeinsame Basis stellen.

Wir müssen also grundsätzlich die Information im Kopf behalten: Es gibt kein allgemeines Patentrezept „wie es bei Impfstoffen ist“ – jeder ist anders!

Entwickelt eine Firma einen neuen Impfstoff gegen ein gut bekanntes Antigen, gegen das auch schon weitere Impfstoffe auf dem Markt sind, dann wird die Entwicklungsphase kurz sein. Hat man aber einen neuen Erreger, der einzigartig und bisher völlig unbekannt auf der Welt ist und dazu noch eine Herstellungsmethode, die völlig neu ist, dann kann das auch gut 20 Jahre dauern.

Bei den COVID – Impfstoffen musste man – entgegen der Annahme Vieler – nicht bei Null anfangen. Abgesehen davon, dass Coronaviren eine schon sehr lang bekannte Virenfamilie darstellen, gab es auch vorher schon ähnliche Versionen des SARS-CoV-2 – Virus, nämlich SARS und MERS. An diesen beiden Viren wurde seit deren erstem Auftreten (SARS im Jahr 2002 und MERS im Jahr 2012) viel geforscht, also seit insgesamt 18 Jahren. Auch mit der Impfstoffentwicklung wurde damals schon begonnen – dies wurde jedoch nicht zu Ende gebracht, da sich SARS nicht weiterverbreitete und MERS bis heute auf den arabischen Raum beschränkt blieb. Aufgrund etlicher Ähnlichkeiten konnte man auf dieser breiten bereits bestehenden Datenbasis aufbauen.

Die Technologien, die bei den bereits zugelassenen und den weit in der Entwicklung voran befindlichen Impfstoffen zur Anwendung kommen, sind ebenfalls nicht neu – an der mRNA – Technologie arbeitet man seit rund 20 Jahren (für Krebstherapie und Impfstoffe) und Vektortechnologie ist ebenfalls bereits gut bekannt, derartige Impfstoffe sind längst zugelassen.

Was an der aktuellen Situation auch einzigartig ist: noch niemals wurde weltweit von so vielen Teams gleichzeitig an einem Erreger geforscht. Da die wissenschaftlichen Arbeiten publiziert werden und weltweit auch alle Zugang zu den relevanten Daten haben, trägt dieser immense Informationsgewinn und -austausch massiv zum Erfolg bei.

Finanzielle Basis

Auch wenn es viele nicht glauben wollen: Arzneimittelentwicklung ist teuer. Besonders bei neuen, innovativen Produkten bewegt man sich hier in Summe schnell im Milliarden Dollar – Bereich. Viele kleine, innovative Firmen haben zwar hervorragende Experten an Bord und sind erfolgreich in der Entwicklung, hätten aber niemals alleine die finanziellen Mittel, die personellen Ressourcen und die Erfahrung, das betreffende Produkt bis zur Zulassungsreife zu bringen, ein Zulassungsverfahren plus allem, was davor und danach dazugehört, durchzustehen und würden auch nicht die Produktionsanlagen besitzen, um das Ganze in markttauglicher Menge herzustellen. Wenn man auf die COVID – Impfstoffe blickt, sieht man hier auch viele Kooperationen der Entwickler mit Großkonzernen: BionTech mit Pfizer, die Universität Oxford mit Astra Zeneca, CureVac mit Bayer…diese Zusammenschlüsse machen die Einreichung zur Zulassung und die industrielle Produktion überhaupt erst möglich.

Zusätzlich gab es weltweit große finanzielle Unterstützung für die Impfstoffprojekte, von vielen Regierungen und von privaten Stiftungen UND parallel schon im Vorfeld die Gewissheit, dass eine Firma, der die Entwicklung gelingt, auf jeden Fall eine Abnahmegarantie in großen Mengen hat.

Im Normalfall müssen Firmen genau abwägen, ob es sich lohnt, in die Entwicklung Zeit, Geld, Personal, Geräte und Anlagen zu investieren. In diesem Fall war es so risikoarm wie nie – alle betreffenden Firmen konnten es sich leisten, andere Projekte zu stoppen oder zurückzustellen und alles an Ressourcen hier hineinzupulvern, was nur möglich war.

Ablauf der klinischen Studien

Eine klinische Studie durchzuführen ist ein immenser und sehr teurer Aufwand, speziell eine großflächige Phase III – Studie. Neben allen vorab zu erledigenden Dingen (behördliche Genehmigungen etc.) ist es in der Phase III bei Impfstoffen erstens nicht leicht, eine große Menge an Probanden zu finden und zweitens – da man hier ja die Wirkung unter „Feldbedingungen“ untersucht – auch Gegenden zu identifizieren, in denen die betreffende Krankheit ausreichend grassiert, um relevante Daten zu bekommen. Das ist hier ebenfalls – leider – ein Vorteil: die Erkrankung findet man weltweit überall reichlich. Was grundsätzlich kein erstrebenswerter Zustand ist, ist für die Durchführung einer solchen Studie aber optimal. Die Bedingungen waren noch nie so gut wie jetzt.

Eine Spezialsituation stellt auch dar, dass manche Studienphasen parallel laufen konnten anstatt wie sonst strikt hintereinander. Es wurden also keine erforderlichen Studien weggelassen, sie liefen nur gleichzeitig anstatt eine nach der anderen.

Und welche Rolle hat nun die Zulassungsbehörde beim vorgelegten Tempo gespielt?

Bevor eine Firma einen Zulassungsantrag stellt, ist die Behörde schon involviert, zur Erteilung der Herstellerlaubnis, zur Genehmigung der Studien und auch beim sogenannten “Scientific Advice“ – einer (freiwilligen) wissenschaftlichen Beratung, bei der die Firma behördlichen Rat hinsichtlich der Entwicklung ihres Produktes einholen kann. Solche Scientific Advice – Anträge wurden für COVID – Impfstoffe sozusagen „vorgelassen“ und sofort bearbeitet.

Beim eigentlichen Zulassungsverfahren gibt es zwei Besonderheiten im Gegensatz zum „herkömmlichen“ Verfahren:

Den rolling review und die Zulassung im conditional approval – also eine bedingte Zulassung.

Normalerweise reicht eine Firma ihren Zulassungsantrag erst ein, wenn das komplette Zulassungsdossier fertig vorliegt, alle Studien fertig sind, der Herstellungsprozess auf festen Beinen steht und die Zulassungsreife erreicht ist. Bei den COVID – Impfstoffen gibt es einen sogenannten „rolling review“ – die Firmen können also – bevor sie die eigentliche Zulassung beantragen – schubweise schon einreichen, was bereits fertig ist und die Behörde hat diese Teile bereits begutachtet, bewertet und eventuelle Mängel identifiziert, bevor das nächste Datenpaket der Firma anrollt. Durch diese „Parallelarbeit“ spart man eine große Menge an Zeit. Diese Einreichungen wurden zusätzlich ebenfalls zeitlich priorisiert, durften sich also überall „vordrängen“.

Eine bedingte Zulassung ist in der EU gesetzlich geregelt und bedeutet, dass noch Daten ausständig sind, deren Einreichung verpflichtend ist, da die Zulassung ansonsten erlischt. Es muss aber schon für die initiale Zulassung eine gründliche gutachterliche Überprüfung von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit möglich sein, und dies wird im gleichen Rahmen wie sonst auch durchgeführt. Die COVID – Impfstoffe unterliegen zudem einer besonderen Überwachung – anstatt wie sonst bei neuen Produkten alle 6 Monate müssen die Firmen hier monatlich aktualisierte Sicherheitsberichte vorlegen. Die klinischen Zulassungsstudien müssen für weitere 2 Jahre fortgeführt werden.

Die bedingte Zulassung ist NICHT dasselbe wie eine sogenannte Notfallzulassung, wie sie für die COVID – Impfstoffe z.B. in den USA und England erteilt wurde.

Was ist also hier in dieser „Turboentwicklung und –zulassung“ passiert? Wurde etwas Unmögliches möglich gemacht?

Nein. Man hat einfach optimale Rahmenbedingungen auf allen Ebenen geschaffen. Würde man dies bei jedem anderen Impfstoff ebenso machen, könnte jeder andere Impfstoff auch ähnlich schnell entwickelt und zugelassen werden. Nur ergibt sich im „normalen Alltag“ einfach nicht die Notwendigkeit.

In einer Pandemie wie der aktuellen jedoch, in der wir eine Kombination aus tragischen gesundheitlichen Folgen, Todesfällen und drohendem Kollaps der Gesundheitssysteme haben, parallel massive wirtschaftliche, soziale und emotionale Schäden, Lücken in der Bildung unserer Kinder und in der unser normales Leben in unschöner Weise auf den Kopf gestellt wurde, ist die Motivation aller Akteure sehr groß, hier möglichst effektiv an einem Strang zu ziehen. Eine Besserung oder ein Ende der Pandemie ist mit Sicherheit das, was wir uns alle am meisten wünschen.

Einen guten Überblick über den Ablauf von Impfstoffzulassungen, auch im Vergleich „normal“ zu COVID – findet man hier.

2 Kommentare zu „COVID – Impfstoffe in der Turbo – Zulassung

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